Ein Regenbogen entstieg dem Wasserfall. Bäume neigten sich über das Ufer, und Kinder schwangen an einem langen Seil, bevor sie sich jauchzend in eine Lagune fallen ließen. Auch wenn die Szene ein Blickfang war, so fand Arminio unter den anwesenden Erwachsenen nicht die Zielperson. Doch die Leichtigkeit dieses Augenblicks nahm ihn in ihren Bann. Brasilien hatte eine unglaubliche Vielfalt der Pflanzen- und Tierwelt, zumindest das hatte er in den letzten Tagen immer häufiger wahrgenommen. Verzaubert blickte er auf die Kaskaden, die sich in den Fluss hinabstürzten. Sprachlos stand er am Ufer und sah dabei zu, wie die spärlich bekleideten Brasilianerinnen ins Wasser sprangen.
„Ah, das ist ja der Feuerfrosch“, feixte eine Stimme hinter ihm.
„Feuerfrosch?“, erwiderte er ebenso spöttisch. Arminio erkannte die eindeutige Wärmesignatur von Lorelia, noch ehe er den Blick über die Schulter warf. Er atmete scharf ein.
Die Zeichnung, die er von Thiveus erhalten hatte, wurde ihr nicht gerecht. Die Amazone, die Arminio gerade aufmerksam musterte, raubte ihm kurzzeitig den Atem. Ihre dunklen Haare waren in unzählige dünne Zöpfchen geflochten, in denen blaue Papageienfedern hingen. Mit einem engen Lederbustier und Lederrock bekleidet gab sie viel Haut preis. Ihre Beine schienen endlos lang zu sein. Er bemühte sich, keinerlei Emotionen zu zeigen, als er die frische Narbe oberhalb ihres linken Fußgelenks bemerkte. Warum ist sie nicht zu den Heilern gegangen?
Lorelia neigte den Kopf ein wenig zur Seite und schmunzelte. „Ja, der Feuermagier, der seit Tagen wie ein Frosch mit Portalen durch den Urwald hüpft. So ungeschickt, wie Ihr Euch bewegt, hatte ich einen Akolythen erwartet.“ Sie legte ihren schlanken Zeigefinger an ihre Lippen. Grazil, wie eine Katze, schritt sie auf ihn zu.
Arminio beruhigte es, dass sie den Gürtel mit den Insignien trug. Der hochwertige Stoff passte nur bedingt zu der Kleidung. Mit Lederbändern hatte sie Edelsteine daran befestigt und ihn um zwei Taschen erweitert. Sein Blick verweilte zu lange an ihrer Hüfte und er fluchte, weil er ausgerechnet jetzt hart wurde. Lässig legte er die Hände vor seiner Robe zusammen und stellte sich leicht breitbeinig hin. „Ihr müsst eine Indocta sein, sonst würdet Ihr mich mit dem gebührenden Respekt begrüßen.“ Augenblicklich verengten sich Lorelias Augen zu schmalen Schlitzen. Niemand wurde gern als ungebildet bezeichnet, und er war gespannt, wie sie reagierte.
„Magister“, begrüßte sie ihn ehrfurchtsvoll, neigte ihr Haupt und sah kurz zu Boden. „Ich würde Euch gern korrekt ansprechen, doch ich kenne Euch nicht.“
Der Feuermagier hob das Kinn und musterte sie auffällig von Kopf bis Fuß. „Ich bin Magister Arminio Cavallaro, Capitano der römischen Gendarmerie. Und Ihr seid?“
„Gesellin Lorelia.“ Ein Schmunzeln lag auf ihren Lippen. „Cavallaro? Seid ihr mit Furio verwandt?“
„Ja, er ist mein Bruder. Ihr habt bereits Bekanntschaft gemacht?“
„Nein, aber Glandera erzählte oft von ihrer Liebschaft.“ Kokett schürzte sie die Lippen, zog eine Augenbraue in die Höhe und begutachtete ihn genauestens. „Den Cavallaros eilt ein gewisser Ruf voraus.“
Arminio senkte seine Stimme. „Ich bin talentierter als Furio.“
Ihr Blick blieb an dem Seil hängen, das Arminio an seinem Magiergürtel angeknotet hatte. Ihr Herzschlag wurde schneller und er hätte zu gern ihre Gedanken gelesen. Langsam trat die Erdmagierin näher. Eine kleine Ewigkeit sah sie den Feuermagier mit rehbraunen Augen an, bevor Lorelia mit ihrem Kopf so nahe an sein Gesicht kam, dass die Federn in ihren Zöpfen sein Haar berührten.
„So, seid ihr das?“, hauchte sie in sein Ohr.
Ein wohliger Schauer durchzog seinen Körper. Als Arminio sie wieder ansah, grinste sie breit. Ein Glück, dass Lorelia seinen Ausrutscher nicht verspürt hatte. Das lag wohl daran, dass sie seinen rasenden Pulsschlag umso mehr genoss. Arminio fluchte innerlich, während er in ihren braunen Iriden versank. Die junge Frau vor ihm konnte perfekt mit ihren Reizen umgehen. Außerdem roch sie verführerisch nach Lagerfeuer. Es gab viele verschiedene Sorten dieses Geruchs. Ihrer war aus frischem Holz, mit einem Hauch trockenem Gras und Blättern des Waldes. Der Duft der Freiheit. Lorelia zog ihren Kopf langsam zurück, drehte sich um und ging ein paar Schritte vorwärts. Jede andere Frau hätte er bei dieser Körpersprache am Handgelenk gepackt und zu sich zurückgezogen.
„Und aus welchem Grund kommt ein römischer Capitano nach Brasilien, Magister Arminio? Doch nicht, um den Ausblick zu genießen.“
Mit Wohlgefallen betrachtete er ihren Hintern, während er sich eine Antwort überlegen musste, bei der er nicht log. „Ich suche nach etwas Wertvollem.“
„Oh.“ Sie drehte sich wieder um. „Sucht ihr nach Edelsteinen? Vielleicht kann ich Euch helfen?“
„Ihr kennt Euch damit wohl aus?“ Sein Blick fiel auf ihren Gürtel.
„Ja.“ Dann runzelte sie die Stirn. „Aber ihr durchkämmt bereits seit Tagen das gesamte Gebiet und habt dabei nicht einen Stein in der Hand gehabt. Ihr wählt Worte sehr weise, damit man Euch nicht beim Lügen ertappt.“
Arminios Mundwinkel zuckte nach oben. Sie war gerissener, als er erwartet hatte. „Lasst mich die Situation in Ruhe erklären, Gesellin Lorelia. Meine Spezialisierung ist es, vermisste Personen zu finden, und ich …“
Augenblicklich verengten sich ihre Augen zu schmalen Schlitzen und sie unterbrach ihn. „Das habe ich befürchtet. Mein Vater hat Euch geschickt.“ Lorelia trat einen weiteren Schritt zurück. „Lasst mich raten: Er hat Euch einen Finderlohn geboten.“
„Naturalmente. Es ist üblich, dass ich für meine Dienste entlohnt werde.“ Magisch erspürte Arminio, wie ihr Herz das warme Blut immer schneller durch den Körper pumpte und ihre Muskeln sich anspannten.
„Seid still!“, entgegnete sie wütend. Ihre Hand vollführte eine Geste, die Arminio nur allzu gut kannte. „Ich halte nichts von Männern, die für meinen Vater arbeiten, und Ihr werdet mich nie zu ihm zurückbringen.“
„Lorelia, hört mich an!“
Doch sie war bereits durch das Portal verschwunden.
„Lorelia, Bitte. Ich will nur mit Euch reden.“ Arminio erwartete nicht, dass sie umkehrte, und wenn er sie bedrängte, wäre er wie ihr Vater. Somit blieb ihm nichts anderes übrig, als aufzugeben, und das kratzte mehr an seinem Ego, als er zugeben wollte.